„Von Johanni zu Peter und Paul“. Die Anfänge.

Angeregt durch seine familiären Hintergründe wandte sich der Potsdamer Soziologe Helmut Krüger im Mai 2001 brieflich an den Ministerpräsidenten des Landes Brandenburg, Dr. Manfred Stolpe und an den Bischof der Ev. Kirche Berlin-Brandenburg, Dr. Wolfgang Huber und stellte die Idee vor, dass es doch verheißungsvoll für die Nachbarschaft von Deutschen und Polen in der Mitte Europas wäre, an einen gemeinsamen geschichtlichen Punkt anzuknüpfen, der für beide Seiten bis heute überzeugend und bestärkend ist. Dabei verwies er auf die Pilgerfahrt, die Kaiser Otto III. im Jahre 1000 von Magdeburg nach Gniezno unternahm, um seinen Freund aus der gemeinsamen Zeit an der Magdeburger Domschule aufzusuchen und bei dieser Gelegenheit mit Fürst Mieszko I. einen Friedensschluss durch Freundschaftsbund herbeizuführen. Durch das Bischofsbüro wurde dieser Brief an mich weiter geleitet, so dass ich mich einfach einmal mit Helmut Krüger getroffen habe. Das war im Sommer 2001 im denkwürdigen Berliner „Café Kranzler“ am  Kurfürstendamm. Wir kamen überein, dass ich diese Idee, um sie in unserer Landeskirche zu verankern, bei dem nächsten Konvent der Superintendenten des Sprengels Potsdam vortragen werde. So geschah es, und während des Konventes meldete sich mein Amtsbruder, der Oranienburger Superintendent Arndt Farack, zu Wort und vermeldete, dass er eben dieselbe Idee habe und sie zu gerne realisieren wollte. Der Konvent hat daraufhin beschlossen, diesen Pilgerweg als seinen besonderen Beitrag zum Ersten Ökumenischen Kirchentag in Berlin im Mai 2003 hin zu entwickeln.

Im Oktober 2002 fuhr ich mit diesem Anliegen zur Kurie nach Gniezno und fragte mich zum Erzbischof durch. Es empfing mich sein persönlicher Referent, ks. dr Mirosław Jasiński, dem ich auf einem A 4-Bogen die Projektskizze überreichte. Er schaute ein wenig erstaunt und sagte mir zu, dass ich Antwort bekommen würde. Da diese lange ausblieb, wurde mir klar, dass ich nicht einfach „so deutsch“ vorgehen könne, so protestantisch-puristisch und nur pragmatisch. Mir kam der Gedanke, dass ich es noch einmal versuchen musste, und zwar mit einer ganzen deutsch-polnisch-ökumenischen Delegation mit Geistlichen und natürlich auch mit Helmut Krüger. Dazu rief ich im Februar 2003 in der Kurie an und fragte nach dem Erzbischof. „Bin am Apparat.“ Oh! Er selbst, sogleich und direkt! „Ja, ich bin krank und liege im Bett.“ Wie? Und trotzdem nimmt er Telefonate an, dazu noch aus dem Ausland? Nun, ich ergreife die offene Situation und frage nach, ob ich am Freitagabend der nächsten Woche mit einer Delegation kommen dürfe, um ihm das Projekt des Pilgerwegs vorzustellen. Dabei denke ich sogleich: Mann! Freitagabend! Das geht gar nicht! Am andern Ende höre ich: „Gut, kommen Sie zu 19 Uhr.“ Ich gebe noch zu bedenken, dass es vielleicht angesichts des unberechenbaren Winterwetters und möglicher Glätte auch eine halbe Stunde später werden könnte und wir kommen ja über Poznań und bringen den orthodoxen und den lutherischen Pfarrer mit… „Ja, gut, kommen Sie! Ich bin da.“ Oh, wie großartig, die Tür steht offen!

Es kommt zu dem Treffen an dem besagten Freitagabend. Aus Angermünde war der katholische Pfarrer Konrad Richter dabei, aus Chojna ks. Ryszard Schreiber, aus Potsdam natürlich Helmut Krüger und aus Poznań ks. Tadeusz Raszyk von der Ev.-Augsburgischen Kirche und der polnisch-orthodoxe Priester ks. Mitrat Paweł Minajew. Erzbischof Muszyński empfing uns freundlich und wir nahmen alle an seinem Tisch Platz. Nachdem die Projektidee als Impuls des Ersten Ökumenischen Kirchentags von Deutschland in Berlin vorgestellt war, ging es um die Frage, ob wir uns denn ein Symbol dafür aussuchen könnten, ein Pilgerzeichen. Helmut hatte ja als Gastgeschenk den großen Katalog der Europa-Ausstellung „Europas Mitte im Jahre 1000“ mitgebracht, in dem eine Abbildung des „Spandauer Kreuzes“, ein Abdruck in einem Ziegelstein der Spandauer Burg, abgebildet war: Ein Mann streckt seine Gliedmassen aus und hält mit seinen Händen den Kreis, in dem er steht. „Christus hält die ganze Welt“, ist die allererste Assoziation, die sich keiner von uns ausreden lassen will. Dr. Hartmut Kühne von der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität Berlin hatte uns dazu vorher diesen Hinweis gegeben. Und nun: Erzbischof Muszyński spricht sich ebenso für dieses Symbol aus und sagt für das ganze Projekt seine Unterstützung zu! Der Erzbischof ist als Metropolit von Gniezno immer zugleich der Hüter der Reliquien des Hl. Adalbert, Św. Wojciech, die bis heute in einem silbernen Sarkophag in der Primas-Kathedrale von Gniezno hoch aufgebahrt sind. „Der letzte Heilige der ungeteilten Kirche und Schutzpatron Polens und Europas“, so spricht es Erzbischof Muszyński vor uns aus. Erst sehr allmählich begreifen wir, wo wir angekommen sind. Zur Hilfe vor Ort wird uns durch den Erzbischof ks. Krzysztof Woźniak zugesellt, mit dem sogleich ein herzlicher Kontakt entsteht. Er vermittelt uns die Kontakte zu den Gemeinden, die wir auf dem Weg aufsuchen werden.

Jetzt laufen die Vorbereitungen nach ganz konkreten Anforderungen: die Wegstrecken werden eruiert und die Stationen festgemacht. Die Pilgerzeichen werden über das Museum für Vor- und Frühgeschichte in Berlin-Charlottenburg bestellt und ein zweisprachiges „Pilgerhandbuch. Książeczka Pielgrzyma“ gedruckt. Als Tagesliturgie empfiehlt Superintendent Arndt Farack die Tageszeitengebete, die aus dem hohen Mittelalter stammen und damit gut ökumenisch sind, noch aus der ungeteilten Kirche. So beginnt der erste Pilgerweg zunächst nur mit Deutschen, und zwar in zwei Gruppen: die eine startet in Magdeburg und die andere in Giezno, um sich dann in Berlin zum Kirchentag zu treffen. Jede Gruppe bringt verabredungsgemäß Wasser mit, und zwar aus den Flüssen, die wir überqueren, um es dann im Brunnen vor dem Alten Museum, vis á vis zum Berliner Dom, während einer Pilgerandacht zur Tauferinnerung fließen zu lassen. Dabei sind Wasser von Elbe und Spree, von Warthe und Oder. Jetzt haben wir doch damit den „Deutsch-Polnischen Ökumenischen Pilgerweg Magdeburg-Gniezno“ „aus der Taufe gehoben“ nicht wahr?

Nach Abschluss des ersten Ökumenischen Kirchentages durfte ich auch noch auf Einladung des Veranstalters an einer Begegnung aller Akteure in einem Dachlokal unweit des Brandenburger Tores teilnehmen. Da traf sich die Welt! Ich hatte einige Exemplare unseres Pilgerbüchleins dabei, um von unserer Unternehmung hier und da zu erzählen. Auf einmal stehe ich vor Richard von Weizsäcker, 6. Präsident der Bundesrepublik. Da zögere ich nicht und spreche ihn an, erzähle von dem Pilgerweg und dass Erzbischof Muszyński aus Gniezno das sehr begrüßt und unterstützt. „Erzbischof Muszyński?“ Von Weizsäcker überlegt kurz und erinnert sich: „Das ist doch der, der sein Leitthema so formuliert: Es gibt keine Versöhnung zwischen Deutschen und Polen ohne die Juden. Es gibt keine Versöhnung zwischen  Deutschen und Juden ohne die Polen. Und es gibt keine Versöhnung zwischen Polen und Juden ohne die Deutschen!“ Jahre später, v. Weizsäcker war schon verstorben, ergab sich eine ruhige Gelegenheit, dass ich Erzbischof Muszyński von dieser Begegnung erzählen konnte. Er hatte sich sehr darüber gefreut, wie er im Gedächtnis von v. Weizsäcker präsent war.

Zur Nachbesprechung im September 2003 treffen wir uns bei meinem lutherischen Amtsbruder ks. Piotr Gaś in Szczecin, dort im Bonhoeffer-Zentrum. Ks. Krzysztof Woźniak ist natürlich dabei und auch ks. Jan Kwiatkowski, der durch Erzbischof Muszyński mit der Weiterarbeit an dem Projekt betraut worden ist. „Erzbischöfliches Dekret“ heißt hier das entscheidende Wort. Jan bringt in seiner ganz eigenen kreativen Art die Idee ein, dass zur jährlichen Verstetigung des Pilgerwegs mit einer deutsch-polnischen Gruppe es auch eines guten Mottos bedarf und schlägt vor: „Von Johanni zu Peter und Paul“! Ja, jedes Jahr Ende Juni, vom 24. bis 29., und dann immer abwechselnd: mal ist der Start in Gniezno, das andere Mal ist Gniezno das Ziel. Ab 2004 planen wir gemeinsam mit ks. Jan Kwiatkowski unsere ökumenische Unternehmung und Dompropst ks. kan. Jan Kasprowicz ist jedes Mal bei unseren Treffen freundlichster Gastgeber in seinem wunderbaren Pfarrhaus! Und was für eine begabte Köchin dort zu Diensten ist! Ab 2005 hat uns aus Magdeburg Pfr. Willi Kraning mit vielen guten Ratschlägen und Hinweisen sehr zur Seite gestanden und ab 2007 Superintendent i. R. Dr. h. c. Werner Krätschell aus Berlin.  2009 gesellte sich dr teol. Agata Skotnicka zu der Vorbereitungsrunde in Polen. Ihre umsichtigen ökumenischen Begabungen führten 2019 dazu, dass sie durch ein „Erzbischöfliches Dekret“ nun die planerische Federführung auf polnischer Seite innehat. Auf deutscher Seite sind es nach wie vor Helmut Krüger, Tobias Fleischer, Ehepaar Renate und Horst Strehl, Erhard Queisner, Pfr. Arndt Farack und ich.

Die biblischen Leitworte der Pilgerwege ab 2005:

2005: „Gemeinsam sind wir Gottes Ebenbild.“

2006:

2007: Seht auf eure Berufung! 1. Kor. 1, 26

2008: Ihr werdet den heiligen Geist empfangen, und Ihr werdet meine Zeugen sein. Apg. 1, 8

2009: Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben. Joh. 10, 10

2010: Die Liebe Christi drängt uns. 2. Kor. 5, 14

2011: Bleibe bei uns, Herr. Lk. 24, 29

2012: Zur Freiheit hat uns Christus befreit. Gal. 5, 1

2013: Ihr seid das Salz der Erde! Ihr seid das Licht der Welt! Mt. 5, 13.14

2014: Ist Christus etwa zerteilt? 1. Kor. 1, 13

2015: Meine Seele erhebt den Herrn. Lk. 1, 46-55

2016: Ein Herr, ein Glaube, eine Taufe. Eph. 4, 5

2017: Solus Christus.

2018: Der Herr hat mich gesalbt. Jes. 61, 1

2019: Vater unser. Mt. 6, 9-13

2020: Von Angesicht zu Angesicht. 1. Kor. 13, 12

Justus Werdin